Ein sonderbarer Samstagmorgen

Etwas Witziges und doch sehr Typisches ist mir letzte Woche hier in Tunis passiert. Am Samstag verließ ich das Haus, um frühstücken zu gehen. In Tunis habe ich aber erstmals Probleme mit meiner Kreditkarte, hatte nichts Spannendes mehr zu essen im Haus und richtig Hunger. Kein Geld also heute für chices Frühstück im Café, und letztlich doch wieder auf dem Weg nach Hause. Beim Herumirren knurrte mir schon der Magen und meine Stimmung sank gefährlich tief gen Boden.

Obwohl ich das Viertel im schönen La Marsa ziemlich gut kenne, sind Strecken mit großem Hungerloch doch immer doppelt so weit, sodass ich mit letzter Kraft zur Wohnung zurück schleppe. Als mir einfällt, dass ich kein Wasser mehr zu Hause habe, schaue ich kurz beim Mini-Tante-Emma-Laden vorbei, um so schnell das Haus nicht mehr verlassen zu müssen.

Der kleine Läden ist geschätzte eineinhalb Quadratmeter groß, vollgepackt bis unter die niedrige Decke und hauptsächlich Umschlagplatz zahlreicher Zigarettensorten. Häufig führte mein Heimweg von der Arbeit schon hier vorbei und ich hatte die Dame, die den Miniaturladen leitet, schon einmal gesehen. Mir war sie zuvor nicht so ganz Willkommen heißend erschießen, da sie manchmal einfach weitergeschrieben, mich erst einmal ignoriert und dann erst ein Weilchen später bedient hatte.

Umso erstaunter war ich, als sie mich auf Anhieb hineinwirkte und mir aus einem Six-Pack aus großen Wasserflaschen und einem kleinen Brett einen Stuhl baute. Ganz ungelenk und unwohl fühlte ich mich mit meinem Rucksack und meiner europäischen Kleidung. Zudem füllten wir zu zweit die paar Quadratzentimeter auch vollends aus, sodass kaum Platz blieb, um sich um die eigene Achse zu drehen. Sie fragte nach meinem Namen, woraufhin ich ihr Malika nannte und mich mal wieder vergeblich versuchte, als Marokkanerin zu verkaufen. Keiner glaubt mir.

Sie heißt Abla und erzählt mir, dass Abla und Anter eines der sagenumwobenen Paare der Geschichte waren. Sie sagte „Den Namen habt ihr Franzosen auch!“ und meinte damit wohl das Pendant Romeo und Julia. Einen geschichtsträchtigen Namen hat sie also schon einmal, die Gute. Schnell fängt sie allerdings auch an, mich in die Grundzüge ihrer Interpretation islamischen Glaubens einzuführen und das natürlich nicht auf Französisch, sondern gleich mal auf bestem tunesischen Arabisch. Ein wenig verstehe ich wohl, doch mehr als die groben Zusammenhänge Hunderter Jahre Islamgeschichte bleiben leider von diesem Gespräch nicht hängen.

Immer wieder werden wir sogar an diesem ruhigen Samstagvormittag von Jugendlichen unterbrochen, die sich einen Lolli, einen Kuuki (Cookie) oder eine Koak (Coca) aussuchen. Auch ein Mädchen ist dabei, der bei dem Preis, der ihr für ein Päckchen Zigaretten genannt wird, die Gesichtszüge entgleisen. „Was? So teuer? Aber warum denn das?“ Mit so hohen Kosten für die erste Zigarette hatte sie wohl nicht gedacht. Abla bedient sie, lacht ein wenig über sie und bittet sie dann herein. Ein wenig widerwillig beugt sich die Kleine ihren Anweisungen, kommt um die Ecke und stellt sich neben mich in den winzigen Laden. Auch ihren Namen erfragt Abla, erzählt diesmal jedoch keine lange Geschichte. Stattdessen packt sie mich bei den Schultern und dreht mich einmal um die eigene Achse. Plötzlich stehe ich neben dem Mädchen mit der Nase in den Chips und Snacks. Verdutzt drehe ich mich zu ihr um und sehe auch in ihrem Gesicht eine leichte Verzweiflung. Was passiert hier, frage ich mich?

Abla greift jedoch ganz lässig nach meinen Händen, hebt sie an und lässt sie vor mir schweben, als hielte ich ein Buch in der Hand. „Mach die Augen zu“, sagt sie. Bevor ich noch verstehen kann, was hier eigentlich abgeht, spricht sie „Und jetzt bete. Bete zu Allah. Für die Liebe. Sie ist das Wichtigste, was du hast. Ich bin geschieden, aber du, du sollst die Liebe an dich reißen, sie dir holen, sie nie wieder gehen lassen. Also: bete!“ Völlig verdutzt blicke ich sie an, finde jedoch keine Spur von Schalk, sondern blicke in ein völlig entschlossenes Gesicht.

So halte ich die Hände offen, schließe die Augen und spreche zu Allah. Nicht lange, aber vielleicht hört er mich ja dennoch. Die Kleine tut es neben mir ebenso. Auch sie schlägt danach die Augen auf, wirft mir einen ziemlich irritierten Blick zu und unterdrückt ein Lachen. Gemeinsam verabschieden wir uns, treten auf die Straße und gehen beide unserer eigenen Wege: ich immer noch ohne Wasser und sie mit einem kleinen Lächeln auf dem Gesicht.