Ja, es ist wahr, dass ich die Bachelorarbeit noch lange nicht hätte anfangen müssen und ja, ich weiß auch, liebe IRMler, dass ihr mich alle für verrückt erklären werdet. Aber es war tatsächlich eine naheliegende Idee, da im Sommer 2016 so gut wie mein ganzes Umfeld an Freunden und Bekannten gerade an einer Bachelor-, Master- oder gar Doktoberarbeit schrieb. Da es in unserem Studiengang International Relations and Management (IRM) in Regensburg auch tatsächlich möglich ist, schon ab dem zweiten Studienabschnitt mit dem Verfassen der Bachelorarbeit loszulegen, machte ich mich also hochmotiviert auf die Suche nach einem Thema. Das Praktikum bei der Hanns-Seidel-Stiftung in Rabat weckte meine Faszination für die MENA-Region mit Schwerpunkt auf dem Maghreb. Einige Hausarbeiten, die ich zu Libyen schreiben musste, spezifizierten meine Auswahl weiter und da ich in den oberflächlichen Hausarbeiten doch einen guten Überblick über Libyen erhielt, wagte ich mich an das Land heran.
Nichts lag näher, als in das Land zu gehen, das am nächsten an Libyen liegt: Tunesien. Im Rahmen eines Fortführungspraktikums arbeite ich also wieder bei der Hanns-Seidel-Stiftung im Büro Tunis, das für Tunesien, Algerien und Libyen zuständig ist. Vor der Ankunft hatte ich erst eine wage Idee, fand jedoch gleich zu Beginn einen Artikel meiner Kollegen zu Migration von Libyen nach Tunesien und entschied mich, dies als Schwerpunktthema zu wählen. Erst nach und nach begriff ich jedoch, wie wahnsinnig vielseitig Migration ist. Letztlich ist alles Migration, was seit jeher Menschen bewegt hat. Migration ist der Grund für deutsche Nachnamen in Amerika. Migration ist der Grund für langfristigen Austausch zwischen Menschen. Und auch ich bin letztlich Kurzzeitmigrantin hier in Tunesien, davor in Marokko und bald in Nepal. Sich nur auf Flüchtlinge zu fokussieren hätte jedoch auch einige Schwierigkeiten mit sich gebracht, da diese hier in Tunesien nur schwer wirklich offiziell anerkannt werden. So blieb ich also bei der Migration und hoffte, einem detaillierten Thema näher zu kommen.
Pustekuchen stellte sich jedoch schnell heraus, als mich wochenlang täglich und teilweise stündlich ein neues Thema faszinierte. Ich weiß gar nicht, wie viele Seiten Text ich bereits produziert habe, wie viele Texte ich gelesen habe und wie viele Gedanken ich mir gemacht habe – zu Themen, die längst verworfen, zerflossen oder überdacht sind. Die Idee über das Flüchtlingscamp Choucha zwischen Libyen und Tunesien zu schreiben zeigt so einiges. Das Thema ist hochinteressant, aber leider völlig heikel und riskant. Gerade ein Versagen der Regierung oder internationaler Organisationen hätte hierbei analysiert werden, doch das besser nicht auf tunesischem Grund. Nachdem ich schon einiges gelesen und recherchiert hatte, schon einen Abstract geschrieben und Interviews organisiert hatte, erwähnte ein libyscher Freund nebenbei plötzlich, dass in Choucha doch gar keine Libyer gewesen seien. Und dass diejenigen, die dort aktuell noch sein mögen, dies auch auf eigenen Wunsch hin tun. Genau in dem Moment löste sich mein nächster Hoffnungsschimmer in Form eines Themas in Luft auf und ich konnte einige Stunden Arbeit über den Haufen werden.
Meine Bachelorarbeit und ich ist also eine ziemlich langwierige Geschichte mit viel Hin-und-Her. Jetzt habe ich einen Fragebogen aufgestellt, um Libysche Migranten zu analysieren, die aktuell in Tunesien leben. Ich habe Interviews durchgeführt, mich eingelesen, weitere Interviews organisiert und viele Fragen gewälzt und bearbeitet. Doch wie lange dieses Thema wohl bleiben mag bleibt fraglich. Sicher ist jedoch, dass ich mir diesen Stress niemals während eines laufenden Hochschulsemesters angetan hätte. Für die viele Denkarbeit, die viele Energie und die viele Zeit hätte ich in Regensburg nämlich keinerlei Freiraum.