Namaskar!
Es ist lange her, seitdem ich das letzte Mal geschrieben habe – ein ganzer Monat, in dem unfassbar viel geschehen ist. Eines sonnigen, angenehm kühlen Morgens, als wir gerade auf dem Weg zum morgendlichen Chai und Boha waren, trafen wir durch Zufall eine Frau mit ihrem Sohn, der einen großen Strauß aus Pfauenfedern in der Hand trug und ihn uns stolz zeigte. Unser Hindi, das nach zwei Monaten schon erstaunlich beachtlich ist, hat uns geholfen, herauszufinden, dass wir in den „Amrut Baag“ – Obstgarten gehen sollen, was wir dann auch taten. Die Bilanz dieses Morgens war ein Straus herrlicher Federn in allen möglichen Farben und Formen: kleine, abgerundete Gelbe, braun-graue und total lange Zackige, schwarz-weiß-marmorierte Breite, knallorangene Längliche, palmenzweigartige, schillernde Türkisblaue und natürlich die wunderschönen Bilderbuchfedern mit knalligen Farben und perfektem Muster. Herrlich! Seitdem sind wir dort oft morgens durch das nasse Gras gezogen, haben die frühe Sonne und die Stille genossen und waren endlich mal unbeobachtet und alleine, was hier eine große Kunst ist.
In eben diesem Obstgarten helfen wir auch gerne, die Guavas, Limetten und Granatäpfel von den Bäumen zu pflücken, die dort zum Verkauft angeboten werden, was eine schöne Arbeit ist, da der Obstgarten riesig, vielseitig, grün und einfach wunderschön ist. Über den Hintereingang kommen wir auch immer zu jeder Tageszeit unerkannt dort hinein und zum Fotografieren ist es sowieso das Paradies schlechthin mit herrlichen Schmetterlingen, faszinierenden, unbekannten Blumen und den vielen stolzen Pfauen, die dort durch die Gegend streunen.
Endlich bekommen wir von der hiesigen Kultur auch immer mehr mit. In der Stadt, in der wir uns mittlerweile alleine frei bewegen dürfen (was manchmal dann doch noch ziemlich abenteuerlich ist) treffen wir zum Beispiel immer und überall auf kleine Stücke von Religion, die hier einfach allgegenwärtig ist. In Lassi-Shops (Lassi ist ein sehr leckerer Joghurt-Milchshake-Drink, der sich in dem heißen Wetter hier als Abkühlung perfekt eignet) und auf Rikschas (kleine Taxis – Hauptverkehrsmittel auf Indiens Straßen), Bussen und Häusern findet man oft das Swastika (Hakenkreuz), das hier ein Sonnen- und Glückssymbol ist und dem magische Kraft zugetraut wird. Wenn wir es sehen, fühlen wir uns doch immer wieder vor den Kopf gestoßen und sind ungläubig, dass einem einzigen Symbol mit minimalen Variationen solche unterschiedlichen Bedeutungen anhaften können. Momentan findet außerdem die große Festival-Saison der Hindus statt, die wir auch schon miterleben durften. Über die ganze Stadt verteilt finden neun Tage lang sogenannte Garbas statt – Anbetungen, bei denen getanzt, musiziert und gefeiert wird. Es ist für uns eine tolle Erfahrung, bei solchen Festivals dabei zu sein, da es einen ganz anderen Einblick in Indiens Kultur bietet, von der der Hinduismus mit über 80% der Bevölkerung ja einen Großteil ausmacht.
Einen weiteren, prägenden Einblick habe ich in das Leben eines Mannes bekommen dürfen, der meine momentane Heimat stark verändert hat: Mahatma Gandhi. Hier auf dem Gelände gibt es eine „Gandhi Exhibition“ (Ausstellung), die seit 1969 zu seinem 100-jährigen Geburtstag nicht mehr wirklich verändert wurde, aber dennoch einiges über ihn erzählt. Es gibt dort viele schwarz-weiß-Aufnahmen, die Mahatma und seine Frau Kasturba zeigen, Modellhäuser verbildlichen wichtige Schauplätze seines Lebens und eine Abfolge von Gemälden stellt verschiedene Etappen von Kasturbas Leben und Wirken dar. Am meisten haben mich jedoch Gemälde von einer einzigen Künstlerin fasziniert, die wunderschön bildlich Gandhis Leben nacherzählen und die Situationen zeigen, die sozusagen Mohandas Karamchand (Gandhis richtige Vornamen) zu Mahatma (der Ehrentitel „Große Seele“, der ihm gegeben wurde) gemacht haben.
Unfassbar war für uns jedoch, einen Teil von Gandhis Asche in einem vergilbten Marmeladenglas in einer verstaubten, mit einigen seiner persönlichen Gegenständen vollgestopften, Glasvitrine zu finden, die im Eingangsbereich der Ausstellung steht. Auf Nachfrage musste unser Tutor erst einmal einen Mitarbeiter fragen, um uns zu bestätigen, dass dies wirklich ein Teil der Überbleibsel einer so bekannten Person ist – er war sich dessen offenbar nicht einmal bewusst. Nach diesem schockierenden Erlebnis haben wir uns fest vorgenommen, mitzuhelfen, die Ausstellung zu „renovieren“ und ich bin sehr froh, genau darin möglicherweise ein Projekt gefunden zu haben, in dem ich meine Fähigkeiten und Ideen einbringen kann. Es scheint mir sehr schwierig, etwas „Gutes“ und Nachhaltiges im Kasturbagram zu hinterlassen, ohne jemandem die Arbeit wegzunehmen oder vorhandene, funktionierende Strukturen zu sehr zu verändern. Natürlich ist Weltwärts als Lerndienst für mich und nicht als Entwicklungshilfe in meinem Projekt gedacht und ich besitze nur eine Schulausbildung ohne jegliche Berufserfahrung. Aber dennoch habe ich irgendwie den egoistischen Wunsch, hier etwas „dazulassen“ und zu merken, dass mein Aufenthalt etwas verändert hat.
Aus diesem Grund habe ich auch einen monatlichen Newsletter hier im Kasturbagram angestoßen, in dem ich auf Englisch und Hindi (von Mitarbeitern hier übersetzt) über unser Projekt, unsere Arbeit und Erfahrungen, die wir hier machen, schreibe. Oft hatte ich das Gefühl, dass kaum einer der vielen hier lebenden, lernenden und arbeitenden Menschen so richtig weiß, was wir hier machen, aber doch Interesse daran besteht und ich bin schon sehr gespannt auf die Rückmeldungen.
An einem Sonntagmorgen um 5:30 auf einen Berg zu steigen, um den Sonnenaufgang zu sehen und Yoga zu machen, selbstgemachte original indische Potato-Parrata (Pfannkuchen mit Kartoffel-Gemüse-Füllung) mit leckeren Ladyfingers zu essen, die Dancing Competition der Colleges von Indore zu besuchen, zu versuchen Kabeddi, eine Sportart ohne Ball oder jegliche andere „Werkzeuge“ zu verstehen und die wunderschönen Saris von unserer Hostel-Mum zu tragen sind weitere der vielen Erfahrungen, die wir in der letzten Zeit hier machen durften aber:
Aadj kelijee bas! – Genug für heute!
… und viele liebe Grüße aus dem sonnigen immer-blauer-Himmel-Indien 🙂